Interview mit Monika-Elisabeth Klein, Koordinatorin AKHD Kassel

Monika-Elisabeth Klein ist Koordinatorin des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes (AKHD) Kassel. Sie ist Dipl. Sozialarbeiterin und arbeitete früher als Schulsozialarbeiterin sowie mit Drogen- und Alkoholabhängigen. Nach einer längeren Kinderpause begann sie 2006 die ehrenamtliche Mitarbeit für den AKHD Kassel, wechselte 2008 ins Hauptamt und übernahm 2011 die Stelle der Koordinatorin.

Liebe Frau Klein, das Thema „Sterben und Tod“ ist bei Ihrer Arbeit sicher allgegenwärtig. Hat sich der Umgang mit dem Abschied von den Kindern und Jugendlichen im Laufe der Zeit verändert? Was geht in Ihnen vor, wenn Sie sich von einem Kind, das Sie begleitet haben, verabschieden müssen?

Monika-Elisabeth Klein: Ich mache die Arbeit jetzt seit 2006. Ja, es hat sich etwas verändert. Es gibt mehr Betroffenenberichte in den Medien, ob TV, Radio oder beispielsweise auch auf YouTube. Die Tabuisierung des Sterbens von Kindern hat deutlich nachgelassen, auch wenn es natürlich immer ein schweres Thema bleibt. Die Eltern können sich heute mehr darüber mitteilen, vor allem bei den jüngeren Eltern fällt mir das auf. Es findet auch mehr Austausch mit Betroffenen über Facebook statt. Eltern vernetzen sich virtuell, auch Geschwister und betroffene Kinder - das hat sich deutlich geändert. Ein junger Mann, den wir begleitet haben, hat einmal bei der Sendung „Domian“ einen sehr beeindruckenden Beitrag gebracht. Jetzt, fast drei Jahre nach seinem Tod, häufen sich im Internet sehr anteilnehmende Beiträge junger User, die viel Empathie und Wärme dem ihnen ganz unbekannten jungen Mann zum Ausdruck bringen - das hätte ihm sicher sehr gut getan zu wissen, dass er nicht so einfach vergessen wird auch außerhalb seiner Familie.

Für mich persönlich ist der Abschied von einem der Kinder schwer. Mittlerweile sind über 20 Kinder verstorben, die ich alle mehr oder ein bisschen weniger gut kannte. Zwei davon praktisch in meinen Armen, da die Eltern aufgrund dramatischer Umstände nicht dabei sein konnten. Ich werde die Kinder nie vergessen. Sie haben mit aller Kraft um ihr Leben gekämpft und in Liebe mit ihrer Familie gelebt, so lange das körperlich möglich war. Das war ihr Leben - wie sie es erlebt haben, das können sie nur selber beurteilen, das steht uns nicht zu. Mir scheint aber nach all den Jahren, dass die, welche ich näher kannte, sehr gerne gelebt haben, auch wenn es nicht einfach war.

Wie erleben Sie die Familien, insbesondere die Eltern der Kinder, die einerseits versuchen, ihrem Kind ein Fels in der Brandung zu sein, selbst sicherlich oft am Ende ihrer Kräfte sind?

Das kann man nicht so in einem Satz sagen, da jede Familie völlig unterschiedlich ist und auch innerhalb der vielen Jahre, die wir sie oft begleiten, immer neue Entwicklungen auch selber durchläuft. Aber eines kann man nach 13 Jahren Kinderhospizdienst uneingeschränkt sagen: Die Eltern (oder Stief- und Pflegeeltern) tuen alles in ihrer Macht stehende, ihre Kinder (erkrankte und gesunde) zu versorgen, zu pflegen, die besten Behandlungsmöglichkeiten einzusetzen, ihnen die beste Förderung auf schulischem und persönlichem Gebiet teilwerden zu lassen. Den Kindern alles nur Denkbare zu ermöglichen für ein Leben in Liebe, Geborgenheit und alters/-entwicklungsgerechten Angeboten und Erlebnissen. Man darf es sich nicht so vorstellen, als sei das ein Familienleben nur voller Qualen, Sorgen und Ängsten. Im Grunde erscheint mir das immer wieder als ein  Familienleben wie bei anderen auch - mit Höhen und Tiefen, Krisen und positiven Höhepunkten.  Sicher mit deutlich höheren Anforderungen, was die Betreuung der Kinder angeht, aber auch oft mit besonders großer Nähe und Zusammenhalt zwischen Eltern und Kindern - besonders auch der gesunden Geschwister. Was aber immer wieder schwierig ist, das ist, wenn Pflegedienste ausfallen durch die angespannte Pflegesituation in unserem Land, der Kampf mit Ämtern und Behörden, längere Krankenhausaufenthalte der Kinder. Und natürlich, wenn das Kind dann verstirbt - das ist sehr schlimm und sehr, sehr traurig.

Wie stärken Sie Ihre Mitarbeiter, damit Sie den Alltag der Familien mit den schwerkranken Kindern nicht mit nach Hause nehmen? Wie gehen Sie selbst mit den Schicksalen der Familien und Kindern um?

Natürlich nimmt man das auch ein bisschen mit nach Hause und legt es nicht mit dem Mantel ab, wenn man nach Hause kommt - das ist ja auch gar nicht der Anspruch. Es beschäftigt einen mal mehr und mal weniger.  Am meisten, wenn die Kinder eine schwere akute Krise haben oder wenn sie versterben. Es „nicht mit nach Hause zu nehmen“ kann nicht die entscheidende Frage sein, sondern: Was mache ich dann zu Hause damit? Es geht darum, auf Freiräume zu achten, nicht mehr als den einen Einsatz die Woche im Regelfall als ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Familie zu machen und sich dann wieder anderen Themen und dem eigenen Leben zuzuwenden. Die eigenen Ressourcen zu nutzen, wie Partnerschaft, Familie und Hobbies. Insgesamt ist es für die Verarbeitung gut, dass wir nicht wie stumme Augenzeugen am Straßenrand stehen, sondern dass wir etwas tun können. Aktivität ermöglicht die Verarbeitung. Die EA wissen, dass sie einen sehr sinnvollen und unterstützenden Beitrag leisten und dass die Familien dies gut heißen und als hilfreich erleben. Und man muss sich immer wieder klarmachen, dass es sich nicht um die eigenen Kinder handelt und auch nicht um das eigene Schicksal, dass man zum Unterstützen und nicht zum Mitleiden angetreten ist. Die Fähigkeiten, das eigene und das fremde Schicksal unterscheiden zu können und über Abgrenzungstechniken und eine gute Selbstfürsorge zu verfügen, sollten schon mitgebracht werden.

Sie finanzieren sich komplett über Spenden und ehrenamtliche Helfer. Wo „klemmt“ es am häufigsten, wie kann man Ihren Verein sinnvoll unterstützen?

Nein, wir finanzieren uns nicht „komplett“ darüber: Es gibt eine Grundförderung von den Krankenkassen, vor allem für die hauptamtlichen Arbeitsplätze je nach Größe des Dienstes. Allerdings bei weitem nicht kostendeckend, sondern dies liegt bei etwa 25% der benötigten Mittel. Wir finanzieren uns immer noch überwiegend von Spenden. Ohne Spenden und ohne ehrenamtliches Engagement wäre diese Arbeit überhaupt nicht vorstellbar und nicht finanzierbar. In dieser Kombination aus der gesetzlich garantierten Förderung, den Spenden und dem ehrenamtlichen Engagement funktioniert das gut. Solange das alles nicht nachlässt, ist das eine besonders effiziente Form der Unterstützung, orientiert an den Bedürfnissen der Familien und mit hoher Flexibilität genau das anbieten zu können, was die Familien sich von uns wünschen. Und es ist eine herausragende Form des bürgerschaftlichen Engagements. Uns kann man durch Spenden, ehrenamtliches Engagement und einfach durch das Interesse an der Arbeit, wie Sie es gerade haben, unterstützen.

Liebe Frau Klein, wir danken Ihnen vielmals für das Gespräch!